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Zizou

Meine Kinderstube war immer die ganze Wohnung, obwohl meine Eltern eigens ein Zimmer für mich hergerichtet hatten, wohl um darin ihre eigenen versäumten Kinderträume auszuleben. Aber da sie selber die für sie vom Staat für mich geschnürten Sozialpakete nicht öffneten, schien mir diese Handlungsweise richtig, vor allem da mir die Tanten im Kindergarten predigten: Erziehung ist Lernen am Vorbild. Irgendwas von einem Pestalozzi hat Papa dann noch gefaselt, aber ich denke, Erwachsene reden immer ganz begeistert von irgendwelchen anderen, die ihnen taugen & dann sehen sie, dass das ganze im wirklichen Leben gar nicht so einfach ist & leiern nur mehr ihre angelernten Sätze runter.

 Bei der Fußballweltmeisterschaft hat der Papa immer so von einem Zinedine Zidane geschwärmt, einen „Ballkünstler“ hat er ihn bezeichnet, & das heißt was, denn der Papa sagt nicht so schnell zu jemandem „Künstler“. & meine Mama hat gesagt: “Das ist ein Mann!“ & sonst gar nichts, & das heißt auch was, denn die sagt sonst mehr. Aber als dieser Zizou oder wie sie ihn nennen beim Endspiel einem italienischen Spieler mit dem Schädel gegen die Brust gestoßen hat, da hat die Mama plötzlich den Mund aufgemacht: „ Das geht ja nicht. Schade um ihn. Das haben ja so viele Menschen gesehen! Armer Zizou!“ Der Papa hat gar nichts gesagt, ich hab nur gesehen, dass er die Miene verzogen hat & gehört, dass er dann murmelte: „Wer weiß, was der Materazzi zu ihm gesagt hat…“
 Den Kopfstoß hat man dann die ganze Zeit im Fernsehen gesehen, immer wieder, am nächsten Tag waren die Zeitungen voll damit, unser Zizou war auf einmal berühmter als er eh schon war. Ich dachte mir: Meine Eltern hatten Recht, der Spieler ist ein Künstler, ein Mann, weil alle reden von ihm. Ich merkte aber, dass die Sache Papa nicht aus dem Kopf ging: Was hat der Gegenspieler zu ihm gesagt, nachdem er an seinem Trikot gezupft hatte? - & alle Zeitungsreporter & Sportmoderatoren im Fernsehen rätselten mit. Einen Terroristen habe er ihn geschimpft, hörte man, weil alle, von denen man nichts weiß, bezeichnet man als Terroristen, auch wenn ich in einem Film immer gleich sehe, wer die Terroristen sind & wer die Polizisten. War dann unser Zizou ein Polizist? – Geil, nicht nur ein Künstler, ein Mann, auch ein Polizist!  Als eine Hure habe Materazzi seine Schwester bezeichnet, hörte man dann, ich musste Papa fragen was denn eine Hure sei, und er sagte: „Eine Frau, die alle Männer haben kann!“ – Pfau, der hat auch noch eine Schwester, auf die alle Männer fliegen! Zinedine Zidane wurde immer größer in meiner Achtung, vielleicht war der so was, was sie in der Kirche immer als Gott  bezeichnen, aber den sieht man ja nie, & der ist ja kein Terrorist, das ist ja der Ober-Polizist. & der kann alle bestrafen, ohne dass er sagt warum & das hat unser Zouzou ja auch getan!

 Irgendwie kannte ich mich nicht mehr aus.

 Dann war unser Zizou lange raus aus dem Fernsehen, die Weltmeisterschaft war ja auch vorbei, & ich dachte mir diesen Zizou gibt’s ja gar nicht wirklich wie den lieben Gott, eben nur im Fernsehen & die Erwachsenen reden halt drüber, weil sie immer über das reden, was sie im Fernsehen hören & sehen. Das muss ja wichtig sein! Aber Pausen sind auch wichtig, sagt immer der Papa, vor allem wenn man älter wird, auch in einem Theaterstück gibt’s Pausen, dass die Leute etwas trinken gehen können & dann aufs Klo. Aber ich hab oft was trinken & aufs Klo gehen müssen, bis ich nach langer Zeit hörte, dass dieser Materazzi gesagt haben soll, die Schwester von Zizou wäre ihm lieber als sein Trikot! – Deswegen haben sich alle so aufgeregt?! – Ich hätte zwar lieber das Trikot gehabt, aber der Papa ist  in meiner Achtung gestiegen, der hat alles schon vorher gewusst, weil er hat ja gesagt, dass alle Männer auf Zizous Schwerster fliegen.

 Irgendwie bringt das Fernsehen ganz schön viel Unordnung in das Leben von den Erwachsenen, weil sie immer alles nachmachen oder nachreden müssen, was ihnen dort vorgezeigt oder vorgeredet wird. Damit bringen sie auch eine furchtbare Unordnung in mein Leben, weil ich kann nicht alles sehen & hören, was so im Fernsehen gezeigt & gesagt wird, da ich früher ins Bett gehe.

 Gestern haben sie den ganzen Tag die zwei Flugzeuge gezeigt, die da in zwei Wolkenkratzer geflogen sind, Mama sagt, das sei in Amerika gewesen & ich noch ganz klein, als das passierte, das waren Terroristen, daran könnte ich mich nicht erinnern. Natürlich kann ich mich daran erinnern! & wie!, die ganze Zeit hab ich das ja auch gesehen im Fernseher, aber die Mama hat dabei immer gesagt, das sei nur ein Film, das gibt es nicht wirklich. Aber ich weiß ja, wer die Terroristen & wer die Polizisten im Film sind. Auch die Feuerwehrleute kenn ich.- & jetzt sagt sie, ich kann mich nicht daran erinnern, weil ich da noch zu klein gewesen sei. & im Fernsehen sagen sie auch, dass es die Terroristen wirklich gibt, dass man sie sucht & dass alle den Ober-Terroristen suchen sollen. Gestern hab ich auch vorm Billa einen stehen gesehen & hab die Mama gefragt wie denn der heißt. „Augustin“, hat sie gesagt. „Heißen denn alle Terroristen Augustin?“,  hab ich sie gefragt.

Meine Mama packte mich unwirsch & hob mich in den leeren Einkaufswagen.

 Heute war ich mit Papa einkaufen, & da war auch so einer & der hat auch Zeitungen in der Hand gehalten. Da ist der Mond ganz silberweiß im hellblauen Himmel gehangen.
„Schau Papa, der Mond ist nur halb. Ist die andere Seite jetzt weg?“, fragte ich.
Mein Papa: „Nein, die ist noch da, dort ist jetzt nur Nacht so wie später auf der Erde. Auf dem Teil, den du siehst ist Tag so wie hier jetzt auf der Erde.“
„Aber da fällt man runter, wenn man dort geht.“
„Nein, der Mond hat eine Anziehungskraft wie die Erde. Sonst würden wir jetzt auch von der Erde fallen.“
„Wieso weißt du das?“
„Na ja, die Amerikaner waren schon oben & sind nicht heruntergefallen. Damals war ich so alt wie du jetzt.“
„Aber jetzt fliegen die Amerikaner mit Flugzeugen in Wolkenkratzer.“
Ich weiß nicht, was mein Papa überlegte.
„Sind alle Amerikaner Terroristen?“, fragte ich.
„Wer sagt das?“
„Dem Dani sein Opa.“

 Mein Papa packte mich unwirsch & hob mich in den leeren Einkaufswagen.

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